Träumen Spinnen? – REM-ähnliche Ruhephase bei Springspinnen

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Ich bin letztens gefragt worden, wie und wo ich an die Studien komme, die ich so lese und verarbeite. Viele davon finde ich durch Zufall, andere werden mir von tollen Menschen auf Instagram zugeschickt. So auch die heutige:

„Regularly occurring bouts of retinal movements suggest an REM sleep–like state in jumping spiders“.

Was ein Titel. Frei übersetzt: „Regelmäßig auftretende Augenbewegung deuten auf eine REM- und Schlaf-ähnliche Phase bei Springspinnen hin“.

Aber von vorne:

Im Gegensatz zu einigen anderen Spinnen sind Springspinnen sehr visuell orientierte Tiere. Sie jagen auf Sicht, können begrenzt Farben wahrnehmen und ihre Augen sind so aufgebaut, dass sie eine beinahe komplette Rundumsicht ermöglichen.
Ich habe sogar in einem Podcast, den ich nur empfehlen kann, gehört, dass größere Springspinnen ein ähnliches Sehvermögen haben wie der Durschnitts-Mensch. Das würde bedeuten, dass meine Rosi – eine Phidipus Regius – besser sieht als ich, da ich ohne Brille ziemlich wenig erkenne. Der genannte Podcast war die „Dancing Spiders“ Folge des Ologies-Podcasts von Alie Ward.

Die Springspinne hat wie viele Spinnen 8 Augen, davon 2 Hauptaugen – das sind die großen vorne, die uns bei Betrachung eines Portraitfotos als erstes auffallen und das Tier Süß erscheinen lassen.

In diesen Hauptaugen ist eine Bewegung der Netzhaut und der Linse durch Muskeln möglich. So können Brennweite und Fokus angepasst werden, was eine gewisse Tiefenschärfe im Sehen ermöglicht.
Diese Bewegung ist von außen nicht zu sehen, da sie im Kopf der Spinne geschieht. Bei sehr jungen Spinnen ist das Außenskelett allerdings noch durchsichtig – hier kann man die röhrenförmige Struktur dieser Hauptaugen erkennen.

Zusätzlich neu in der vorliegenden Studie: es wurde eine Ruheposition beobachtet bei der Art E. Arcuata (Dunkler Sichelspringer). Die Tiere hängen an einem Faden frei im Raum – und das nur nachts und über einen längeren Zeitraum. Das legt die Vermutung nahe, dass die Tiere so schlafen.

Hier ist wohl ein kurzer Einschub zur REM Phase nötig:


REM steht für rapid eye movement, also „rasche Augenbewegung“
Bei Menschen hat man dabei schnelle Augenbewegungen beobachtet und eine zunehmende Hirnaktivität, ähnlich dem Wachzustand. Bei weiteren Experimenten wurde ein Zusammenhang zwischen REM- und Traumphase festgestellt.

Ihr ahnt, worauf das hinausläuft:


Bei den Spinnenjungen wurden während der Ruhephase regelmäßig nicht nur Beinzuckungen, sondern auch Augenbewegungen festgestellt und festgehalten.
Hierzu gibt es ein Video auf Youtube, in dem diese Bewegungen zu sehen sind. Das verlinke ich euch direkt in den Shownotes. Innerhalb der Studie hat man durch mehrere Aufnahmen diese Zuckungen der Beine klar abgegrenzt von zielgerichteten Bewegungen wie zum Beispiel Putzen.
Die Augenbewegung ist in den Videos klar zu erkennen und tritt manchmal, aber nicht immer, zeitgleich mit den Beinzuckungen auf.

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

Youtube Video von „Scientific American“, bestehend aus den Aufnahmen der Studie.

Diese Studie beweist also, dass es eine REM-ähnliche Phase gibt bei Spinnen, die sich in einer Ruheposition befinden und dass die Spinnen in dieser Phase ähnliche Verhaltensweisen zeigen, wie Wirbeltiere und der Mensch während der REM-Phase.

Das Ganze ist natürlich kritisch zu betrachten, aus dem einfachen Grund, dass wir die Spinne nicht befragen können und auch Hirnströme sich derzeit nicht messen lassen.
Es ist nicht einmal sicher, ob die Spinne während der nächtlichen Ruhephase wirklich schläft.
Man muss daher ganz klar sagen: eine Traumphase bei diesen Springspinnen wurde nicht bewiesen.

Aber, meine Meinung hierzu, ganz ehrlich: einen Hund können wir auch nicht befragen, und doch wird jeder Hundehalter behaupten, sein Hund träume, wenn im Schlaf mit den Pfoten gezuckt wird. Warum stellen wir uns so an, wenn es darum geht, solche Verhaltensweisen auf Wirbellose zu übertragen? Weil es uns dann leichter fällt, die Tiere zu zerdrücken, wenn wir sie als gefühllose Wesen betrachten, die keinen Schmerz spüren? (Schmerzempfindung bei Wirbellosen ist auch so ein umstrittenes Thema).
Auch ohne Beweis stellt diese Studie zumindest die Möglichkeit in den Raum, dass Spinnen Träume haben.


Meine Quellen:

Die Studie:
https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2204754119

Video:
https://www.youtube.com/watch?v=v_x6lm_9FA8

Andere:
https://www.spektrum.de/news/es-scheint-als-koennten-spinnen-traeumen/2047779
https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.2211216119
https://wiki.arages.de/index.php?title=Evarcha_arcuata
https://de.wikipedia.org/wiki/REM-Schlaf
https://www.alieward.com/ologies/dancingspiders

Bildnachweise:
https://pixabay.com/de/photos/springspinnen-spinnentier-tier-7180052/
https://pixabay.com/de/photos/spinne-spinnentier-springspinnen-6525536/


„Spinnen – Alles, was man wissen muss“ von Wolfgang Nentwig, Jutta Ansorg, Angelo Bolzern , Holger Frick, Anne-Sarah Gansk, Ambros Hänggi, Christian Kropf, Anna Stäubli.

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