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Frankenstein-Raupen, künstlich gezüchtete Riesen-Larven, Roboter-Spinnen und mehr – in der Halloween Ausgabe widmen wir uns schaurigen Versuchen der Wissenschaft.
Zuvor eine kleine Anekdote: ich bin sehr empfindlich, was blutige Filme angeht und meinem Freund ist das bewusst. Daher hat er die wundervolle Angewohnheit entwickelt, mich vorzuwarnen, wenn irgendetwas eklig ist. So zum Beispiel, wenn er sich „The Walking Dead“ anschaut. Dann bekomme ich die Warnung: „Achtung, ich schaue jetzt diese Serie an. Sag mir Bescheid, wenn du reinkommst, dann mache ich Pause.“
Ihr könnt euch also vorstellen, dass ich vorsichtig war, als ein gemeinsamer Kumpel einen Link in unserem Discordserver gepostet hat und Toms Reaktion darauf hin war: „Das ist voll eklig, schau dir das nicht an!“
Jetzt hatte besagter Kumpel diesen Link allerdings als Reaktion auf meinen Podcast gepostet. Es war also davon auszugehen, dass es mit Krabbeltieren zu tun hatte. Und da ich grundsätzlich eher neugierig bin, musste ich mir das trotzdem anschauen. Deshalb habe ich vorsichtig die Überschrift gelesen, mir die Bilder angeschaut, die Einleitung überflogen und – ich fand es überhaupt nicht schlimm.
Das Ganze hat diese Halloween Ausgabe inspiriert, die ich gerne mit einer Trigger Warnung starten möchte.
Es geht im Folgenden um Versuche an lebenden und toten Wirbellosen, sowie um die Behandlung von Wunden beim Menschen. Sollte dich das in irgendeiner Art und Weise abstoßen, bitte wegklicken. Ich bin da auch nicht böse. Glaub mir, ich verstehe das.
Noch jemand da? Wunderbar! Dann starten wir.
Foto: Justin Lauria via unsplash
1. Frankenstein-Raupen
Beginnen wir mit Versuchen, die zum Ziel hatten, herauszufinden, wann und warum sich eine Raupe in eine Puppe verwandelt. Der erste, der sich dieser Frage angenommen hat, war Kopec im Jahre 1922. Er hat Raupen einer bestimmten Gattung zu unterschiedlichen Zeitpunkten das Gehirn entfernt und dabei herausgefunden, dass es einen kritischen Zeitpunkt für diese Operation gibt. Wenn vor diesem Zeitpunkt das Gehirn entfernt wird, gibt es keine Puppe. Wenn es danach entfernt wird, verpuppt sich die Raupe trotzdem.Daraus hat Kopec geschlossen, dass das Gehirn zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Hormon ausschüttet, was die Verpuppung in Gang setzt.
Inspiriert davon wurden dann 1936 bis 1939 von diversen Forschern Schnürungsversuche unternommen. Hier wurden nicht die Gehirne der Raupen entfernt, sondern die Raupe zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschnürt. So wurde der Blutfluss und damit die Ausbreitung des Hormons unterbunden.
Auch hier war der Zeitpunkt entscheidend. Zu früh, und es passierte nichts. Zu spät, und die Puppe bildete sich trotzdem. Wurde der Zeitpunkt getroffen, an dem das Hormon bereits ausgeschüttet war, aber nicht die Zeit hatte, sich komplett zu verteilen, verpuppte sich die Raupe nur teilweise. Verpuppt hat sich hier nur der vordere Teil, wobei hinter der Abschnürung die Raupe Raupe bleib.
Dann ist man noch einen Schritt weiter gegangen und hat Blut von dem vorderen, abgeschnürten Teil entnommen und im hinteren Teil injiziert. Dadurch verpuppte sich anschließend auch der hintere Teil. Spannend hierbei ist, dass es auch mit artfremdem Blut funktioniert hat, dass also die Hormone scheinbar nicht artspezifisch sind.
Man war von dem ganzen Vorgang derart fasziniert, dass in dieser Zeit um 1922-1939 diverse andere Forscher daran gearbeitet haben.
So haben zum Beispiel Bodenstein und Wigglesworth im Jahre 1933-34 Teile von Raupen an andere Raupen genäht. Man hat Teile von Raupen genommen, die noch nicht vor der Verpuppung standen, und hat diese an Raupen genäht, die kurz vor der Verpuppung standen. Hierbei handelte es sich um Beinchen oder Hautstücke. Die Transplantate unterwarfen sich immer der Häutung des Wirts.
Das hat auch andersherum funktioniert. Ein Teil von einer Raupe, die kurz vor der Verpuppung stand, an eine jüngere dran genäht, und das Teil hat sich nicht verpuppt.
Dadurch hat man dann festgestellt, dass die Menge des Hormons entscheidend ist, die im Blut vorhanden ist.
Generell sind die Ergebnisse oder Schlussfolgerungen dieser Versuche mittlerweile unvollständig oder sogar veraltet. Es gilt aber trotzdem als Pionierarbeit in der Forschung.
Foto: Janaíne Arioli via unsplash
2. Riesen-Larven
Im Nächsten geht es um die großen Larven bzw kleinen Imago. Da muss ich noch anmerken, dass es jetzt nicht mehr nur um Raupen geht, die eine vollständige Metamorphose durchmachen. Die Vollständige Metamorphose beschreibt den Übergang von Larve oder Raupe über eine Puppe oder Kokon hin zum ausgewachsenen Tier.
Im Folgenden geht es auch um Insekten, die eine unvollständige Metamorphose durchmachen, in deren Entwicklung also kein Puppenstadium vorhanden ist.
Und wir sind inzwischen in den Jahren 1937 bis 1942, das heißt, wir haben ein bisschen Forschung hinter uns seit den ersten Häutungsversuchen von Kobec.
Inzwischen weiß man um die „Corpora Allata“, dass es eine Drüse im Hirn der Insekten, die ein Hormon ausschüttet, dessen Funktionsweise man nun genauer bestimmen möchte.
Zunächst hat Piepho im Jahr 1940 weiter an Raupen experimentiert und hat da diese Drüse operativ entfernt oder den Stoff aus dieser Drüse hinzugefügt. Dabei hat er festgestellt, dass, wenn er jungen Raupen diese Drüse wegnimmt, dann bilden sich Zwergpuppen. Das heißt die Raupe verpuppt sich viel zu früh.
Wenn er älteren Raupen viel von dem Stoff injiziert, machen sie eine weitere Häutung durch, ohne sich zu verpuppen und werden dementsprechend Riesen-Raupen. Allerdings haben diese großen Raupen oft nicht mehr lange gelebt.
Anders ist das wohl bei Stabschrecken. Das wurde kurz darauf von jemandem namens Pflugpelder herausgefunden (Ein genaues Datum liegt mir hier nicht vor).
Stabschrecken sind Insekten, die eben keine Verpuppung durchmachen, sondern sich nur immer weiter häuten, bis sie die letzte Häutung vollziehen und dann ausgewachsen sind.
Pflugpelder hat festgestellt, dass junge Tiere, denen man die Corpora allata wegnimmt, direkt die Imago Häutung durchmachen. Es entstehen also sehr kleine ausgewachsene Stabschrecken.
Auf der anderen Seite fügte er fast schon ausgewachsenen Tieren diesen Stoff weiter zu. Diese Tiere häuten sich weiter und bleiben im Nymphen Stadium, wurden aber immer größer.
Das heißt wir haben auf der einen Seite Mini-Erwachsene und demgegenüber Riesen-Babies
Die Schlussfolgerung aus diesen Versuchen war, dass es in Insekten mindestens zwei Hormone oder zwei Stoffe gibt, die die Häutung bestimmen.
Der eine Stoff bringt das Insekt dazu, sich zu häuten und zu wachsen, und der andere Stoff hemmt das vollständige Auswachsen zu der Imago. Und dieser letzte Stoff gilt wohl als Hemmstoff für die schlussendliche Verpuppung und nimmt im Alter immer mehr ab, bis das Insekt ausgewachsen ist und die letzte Häutung bzw die Verpuppung durchführt.
Auch hier wieder: die Versuche sind von 1940. Das Lehrbuch, das mir vorliegt, ist von 1950.
Diese Ergebnisse sind heute vermutlich nicht mehr aktuell, aber der Weg dahin ist immer noch sehr spannend, wie ich finde.
Foto: Jin Yeong Kim via unsplash
3. Fliegenlarven in der Medizin
Kommen wir zu etwas aktuelleren. Der Artikel, der mir vorliegt, ist zwei Monate alt. Und zwar geht es um Fliegenlarven in der Medizin.
Fliegenlarven fressen totes Fleisch und es geht hier um eine kontrollierte Myiasis, dem Befall mit eben diesen Fliegenlarven.
Diese Behandlungsmethode kann helfen, um Wunden zu reinigen. Ronald Sherman ist wohl seit 1989 dabei, schlecht verheilende Wunden zu behandeln. Er hat auch 1989 bereits die Larven Therapie angetestet, ist da aber so ein bisschen auf Gegenwind gestoßen, weil die wenigsten Patienten gerne Larven in ihren Beinen haben.
In einem Interview auf Entomologie Today, spricht er davon, dass jedes Jahr in Amerika 100.000 Amputationen allein durch nicht verheilende Wunden nötig sind. Und diese Amputationen könnten drastisch reduziert werden, wenn man das Fleisch der Wunde von Larven reinigen lässt. Das muss natürlich unter Aufsicht geschehen. Die Larven werden eingesetzt, tun ihren Job, werden wieder entfernt.
Eigentlich ziemlich easy, ziemlich schnell zu verstehen, aber trotzdem mit Grusel-Faktor. Die Vorstellung, dass man Larven gezielt in Wunden setzt, ist aber auf jeden Fall ein unfassbar spannendes Feld, finde ich. Und da müsste man Hemmungen abbauen und Tiere, die ein Stigma haben, nutzten, um positive Dinge zu erreichen.
Foto: Dustin Humes via unsplash
4. Robo-Spinne
Hierzu muss man zunächst wissen, dass Spinnen keine Muskeln besitzen, wie wir sie haben. Unsere Muskulatur besteht meistens aus zwei gegeneinander arbeiten Muskeln. Der eine fürs Beugen, der andere fürs Strecken. Spinnen haben nur Muskeln in eine einzige Richtung, und zwar fürs Beugen, fürs Zusammenrollen.
Das Strecken der Spinnenbeine passiert durch hydraulischen Druck, sprich durch Blutdruck oder durch andere Körperflüssigkeiten. Das ist der Grund, weshalb eine tote Spinne immer zu einem Ball zusammengerollt ist. Nach dem Tod der Spinne fehlt der hydraulische Druck und die Spinne rollt sich zusammen.
Forscher der Rice University haben sich genau dieses Phänomen zunutze gemacht, um Spinnen als Claw Machines einzusetzen. Hiermit sollen in Zukunft eventuell Roboter bestückt werden.
Dabei werden toten Spinnen mit einer Nadel Flüssigkeiten injiziert, was dazu führt, dass die Beinchen sich strecken. Und wenn die Flüssigkeit wieder rausgezogen wird, dann rollt die Spinne sich wieder zusammen.
Hier findet ihr ein Video der Rice University, wo sie das ganze Prinzip noch einmal erklären, aber auch zeigen, wie sie es geschafft haben, mit dieser toten Spinne Kleinigkeiten von A nach B zu bewegen und außerdem ein Stromkreis zu unterbrechen, um eine LED auszuschalten.
Der Gedanke dahinter ist wohl, dass man mithilfe dieser Spinne kleine Plastikteile ersetzen kann, die aktuell als Greifer in Maschinen und Robotern genutzt werden. Tote Spinnen sind organisches Material, welches leichter verfällt und somit sehr einfacher zu kompostieren ist.
Das Ganze steckt aber, soweit ich es verstanden habe, noch in den Kinderschuhen. Ich habe Fragen.
Kann man die Greifkraft vielleicht verstärken, indem man größere Spinnen nimmt? Wie lange hält das Ganze überhaupt? Kann man es vor dem Verfall bewahren? Oder muss man dann alle paar Tage diese Spinne ersetzen? Und woher kommen die ganzen Spinnen?
Ich finde es aber einen sehr spannenden Ansatz. Und wollten wir nicht alle in einer Welt leben, in der tote spinnen, in Robotern sich weiterbewegen?
Foto: Jenny Chambers via Unsplash
5. Ameisen auf Stelzen
Wir kommen auch in dieser Folge nicht an der Ameise vorbei. Es geht um eine Gattung von Wüsten Ameisen, die in der Wüste lebt, wo es wenig Anhaltspunkte gibt, wenig Pflanzen, wenig Bäume, wenig andere Landschaftsgegebenheiten außer Sand und Dünen.
Und die Fragestellung für die Versuchsreihe war:
Wie orientieren sich diese Ameisen, um vom Nest zum Futter zurückzufinden?
Da liegt mir hier eine Studie vor von Mathias Wittlinger, Rüdiger Wehner und Harald Wolf aus dem Juli 2006.
Zunächst wurden hier Ameisen in einen Testbereich gebracht und durften vom Nest zum Futter und zurücklaufen. Dabei hat man festgestellt, dass die Tiere sehr zielgenau das Nest finden. Sollten sie es einmal nicht finden, laufen die Tiere in Schlangenlinien vor und zurück, bis sie das Nest gefunden haben.
Nachdem man dieses Verhalten dokumentiert hat, durften die Ameisen wieder vom Nest zum Futter laufen. An der Futterstelle wurden sie dieses Mal abgefangen und manipuliert. Einigen von ihnen Stelzen angeklebt wurden, sodass die Beinchen verlängert wurden. Anderen wurden die Beine gekürzt, dass sie auf Stumpfen unterwegs sind. Dann durften sie vom Futter wieder zurück zum Nest laufen.
Dabei hat man festgestellt, dass die mit den zu kurzen Beinen den Weg zurück zum Netz deutlich zu kurz einschätzen. Diese Tiere beginnen verfrüht damit, den Nesteingang in Schlangenlinien zu suchen. Und die Tiere auf Stelzen sind grundsätzlich über das Ziel hinausgeschossen und haben dann weitab vom Netzt mit den Schlangenlinien begonnen.
Im nächsten Versuchsaufbau durften die Tiere auf Stelzen und mit Stümpfen vom Nest zum Futter und zurücklaufen und haben dann auch das Nest relativ zielsicher wieder gefunden. Was sie also in dem einen Versuchsaufbau irritiert hat, war der Unterschied der Beinlänge auf dem Hin- und auf dem Rückweg.
Das heißt, man geht davon aus, dass die Tiere auf dem Hinweg ihre Schritte gezählt haben und auf dem Rückweg sich an dieser Schrittmenge orientiert haben. Und da aber jetzt die Beinchen kürzer oder länger waren, sie also mehr oder weniger Schritte gebraucht hätten für die gleiche Strecke, haben sie das Nest nicht wiedergefunden.
Ganz schön gemein, aber irgendwie sehr spannend und auch ein wunderbares Beispiel dafür, wofür man als Entomologe bezahlt werden kann.
So, das war’s für heute.
Wie immer findet ihr alle genannten Links unten in den Quellen. Schreibt mir, textet mir, meldet euch – bis dahin, Tüdelü!
Quellen:
1 . Frankenstein-Raupen
Foto: https://unsplash.com/photos/XtsVCzURcaE
„Vergleichende Physiologie – Band IV, Hormone“, W. von Buddenbrock, 1950 (Auszüge gibt es hier: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-0348-6826-6_3 )
https://www.bio-nickl.de/wordpress/wp-content/uploads/2021/03/AM_B9_Entwicklung_Versuche.pdf
2. Riesen-Larven
Foto: https://unsplash.com/photos/eBNzlWfW9zQ
„Vergleichende Physiologie – Band IV, Hormone“, W. von Buddenbrock, 1950 (Auszüge gibt es hier: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-0348-6826-6_3 )
https://en.wikipedia.org/wiki/Corpus_allatum
3. Fliegenlarven in der Medizin
Foto: https://unsplash.com/photos/f98dJ8VkuTk
https://entomologytoday.org/2022/08/24/entomological-medicine-maggot-therapy-ronald-sherman/
4. Robo-Spinne
Foto: https://unsplash.com/photos/CBUT8KnMHIA
https://www.smithsonianmag.com/smart-news/scientists-use-dead-spiders-to-grip-objects-180980498/
https://www.youtube.com/watch?v=hONqse2FNxI
5. Ameisen auf Stelzen
Foto: https://unsplash.com/photos/WIGe9QMVclM
https://www.researchgate.net/figure/Manipulation-of-ant-legs-as-performed-in-the-present-study-In-stilts-attached-pig_fig1_6974449
https://www.spektrum.de/news/viele-schritte-vor-wenige-zurueck/844410